Ein Märchen – Teil 2

Und nun beginne ich das Märchen vom König, der seinem Gegner, seinem Verwalter, das Reich überließ, denn dieser Verwalter wollte sein wie er, wie der König, wollte sein wie Gott. Und er ging und beredete die Menschen, daß sie den König verlassen sollten, um ihm nachzufolgen. Und der König beließ ihn und sagte: ‚Nun, ich mag Meine Untertanen nicht knechten, und wenn sie lieber bei dir sein wollen, so will Ich gehen, aber du mußt Mir die überlassen, die mit Mir gehen wollen. Und ich übergebe dir Mein Reich, daß es das deine sei, aber siehe, ich will einen kleinen Teil haben, einen kleinen Garten, hier auf dieser, deiner Erde. Und der gehört Mir, und wer immer zu Mir kommen will in diesen Garten, der darf kommen. Du darfst die Menschen formen, du darfst sie betrügen, ziehen, du kannst tun, was du willst, aber ihren freien Willen darfst du nicht anrühren. Du kannst ihnen Fallen stellen, du kannst sie hinterlistig hintergehen, wie es ja deine Art ist, aber ihren freien Willen mußt du ihnen belassen. Und wenn sie zu Mir kommen wollen in den Garten, dann ist deine Macht gebrochen.  Erst wenn sie den Garten wieder verlassen, hast du wieder Macht über sie.‘ Und er ging, dieser König, der so weise war, der König, der Ich bin, und er ging in den kleinen Garten, und es folgten ihm Kinder, Menschen, die bei ihm bleiben wollten.

Und der andere, der Verwalter, er führte ein Schreckensregiment, immer schrecklicher, immer grausamer, immer offensichtlicher. Es wurde gemeuchelt und gemordet, es war die Welt voller Intrigen. Und jetzt gehen wir ins Zwanzigste Jahrhundert, gehen wir in unsere Zeit, und die Erde wurde immer wüster und immer leerer und die Menschen hungerten immer mehr und es gab immer mehr Beton und immer weniger Natur, und immer weniger Freiheit für die Tiere und immer mehr Gift und immer weniger Sonne und immer enger wurde das Netz.

Und im Garten des Königs blühte es, sangen die Vögel, duftete es. Aber die Menschen, die bei ihm wohnten, sie waren beständig am Arbeiten.

Was haben sie wohl getan? Sie haben die Sklaven des Verwalters, die da in schweren (geistigen) Ketten vorbeikamen an diesem Garten, sie haben ihnen eine Oase geboten. Denn da die Erde immer wüster wurde und immer leerer und immer trostloser, da wurde diese Oase des Königs zur einzigen Oase weit und breit.

Und da kommen sie in Ketten, ob sie Jeans tragen oder einen dunkelblauen Anzug mit Weste, ob sie bunte Röckchen tragen im Folklorestil, oder ein kleinkariertes Kostüm, oder gepunktete Kleider, ob sie Lederhosen tragen, Cordhosen, sie sind mit Ketten gebunden, sie werden getrieben von Sklavenaufsehern. Ja, sie stöhnen und schreien, manche sind ganz erstarrt mit toten Augen, manche sind nur an den Händen gefesselt und gehen alleine. Manche bilden eine ganze Familie mit Kindern, Frau und Mann, die aneinander gekettet sind. Und sie kommen an dem Garten des Königs vorbei und schauen voller Sehnsucht hinein. Und da steht der König und Er sagt zu den Sklaventreibern: ‘Lasset die Menschen hier rasten.‘ Und sie rufen: ‚Nein, sie sollen nicht rasten, sie müssen weiter!‘ Und der König sagt: ‘Sie werden ihr Ziel nicht lebend erreichen, wenn sie nicht etwas zu trinken bekommen und etwas zu essen bekommen, laßt die Menschen rasten.‘ Und Er hat etwas Zwingendes in Seinem Blick und sie sehen es ein, und die lassen die Leute sich lagern. Und da ruft der Herr die Kinder und sagt: ‘Sehet da eure Geschwister, kommt, tränkt sie, wascht ihnen die Wunden, bringt ihnen zu essen.‘ Und Er geht an den Brunnen in diesem Garten und die Kinder kommen und helfen. Es sind so viele Menschen und sie rufen und schreiben und sie drängen sich um das Wasser und stöhnen, und sie haben Schmerzen, und sie sind schmutzig und elend und die Kinder, sie laufen und laufen und der Herr sagt, der Vater: ‘Gehe nach drinnen und rufe sie alle zusammen. Und der eine soll in die Küche gehen und Teller holen, der andere soll Tassen holen und Becher, schicke den anderen in den Keller, daß er nach den Vorräten schaut, und schicke einen nach Verbandzeug, und ein anderer soll sehen, ob neue Kleider da sind! Schickt sie alle, alle los!‘

Und sie gehen und laufen und der König selber, Er geht und bringt das Wasser und Er gibt ihnen zu trinken und voller Liebe schaut Er sie an, jeden einzelnen. Er gibt ihnen das Wasser, Er streicht ihnen über die Haare, Er hält sie und voller unendlicher Liebe schaut Er sie an, bückt Er sich. Und es kommen die Kinder und bringen die Teller und die Becher und sie waschen die Wunden und da sagt der Vater. ‚Nun, wo sind denn die anderen, warum kommen sie denn gar nicht?‘ ‚Ja!‘, sagt ein Kind, ‚die einen sitzen da in der Küche und unterhalten sich immer. Ich habe gesagt, daß sie noch gebraucht werden, und sie haben gesagt: ‚Ihr müßt uns nicht immer gängeln, wir wissen alleine, was wir tun sollen.‘ ‚Ja, und die anderen, wo sind die anderen, wo sind die, die im Keller sind, die, die Lebensmittel holen? Wo sind die mit dem Verbandzeug? Ja, wo bleibt ihr denn?‘ Und da sagt ein Kind: ‚Vater, sie haben gesagt, sie wollen keine Knechte und Mägde sein, sie sind Kinder des Königs.‘

Und es war eine große Stille im Garten der Liebe und der Herr, der Vater, der König sagte: ‚Meine Kinder wollen sie sein? Wie können sie Meine Kinder sein, wenn sie nicht sind wie Ich? Und Ich, bin Ich nicht der Knecht aller, bin ich nicht Mensch gewesen, war Ich nicht als Knecht unter Meinen Kindern? Habe Ich, der Schöpfer mich nicht gebeugt unter die Gesetze Meines Gegners? Und bin Gott und Gott ist ein Knecht (in Seiner Liebe). Und wenn Meine Kinder Meine Kinder sein wollen, so müssen sie aus Liebe genauso sein wie Ich, und Ich bin ein Knecht Meiner Kinder. Und wer sein will wie Gott und wer Sein Kind sein will, kann es nur sein, wenn er ist wie Ich. Und Ich bin ewig der Letzte und ewig der Kleinste. Und weil ich ewig der Kleinste und der Letzte bin, werde ich nach dem Gesetze Meines Himmels ewig der Größte sein, denn Ich habe gesagt: ‚Die Letzten werden die Ersten sein!‘

Und – habt ihr sie verstanden, Meine Geschichte? Geht in euch! Wer sein will wie Ich, der dünke sich nicht besser als Ich, denn dann ist er so wie Mein Gegner. Der wollte auch sein wie Gott, aber er wußte nicht, wie Gott ist, denn Gott ist ganz anders. Gott ist Knecht, ewig Knecht in Seiner Liebe, für Seine Kinder. Und habt ihr nun endlich begriffen, was ich sage, was Meine Knechte und Mägde sind? Daß sie aus Liebe ihren Brüdern und Schwestern, die noch versklavt sind, die da noch Ketten der Welten tragen, die so arm und mühselig und beladen sind, daß sie ihnen dienen. Sie empfinden es nicht als dienen, denn wenn man liebt, wie Ich, dann dient man und hat seine Freude, man hat seine Liebe, man hat seinen Lohn in sich. Denen, die Mich lieben, ist es Süße, zu dienen.

Gehet ein wenig in die Stille über diese Meine Worte.‘

Christel Zahnd, Wersau, 16. 5. 1984

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